(SW 1046)
Von den drei Gedichten des schlesischen Dichters Max Herrmann-Neiße, die Ridil für die vorliegende Vertonung ausgewählt hat, ist das erste, „Notturno“ übertitelte, wahrscheinlich das bekannteste; ein Liebesgedicht, das auf Herrmann-Neißes schwieriges Verhältnis zu Frauen verweist und somit sicherlich autobiografische Züge trägt. Die anderen beiden Gedichte der Auswahl sind von sprachlich drastisch formulierten Einsamkeits-, Angst- und Todesvisionen geprägt. Die Texte werden von Ridil frei rezitatorisch, großenteils syllabisch, an besonders exponierten Stellen aber auch melismatisch umgesetzt.
Bei aller Formstrenge, die sich beispielsweise in der Reprisenform mit angehängter Coda im ersten der drei Lieder zeigt, komponiert Ridil – wie stets – eng am Text entlang, und es gelingt ihm dabei auf das Trefflichste, die teils melancholische, dann wieder düstere, aber auch erregt-aufgewühlten, atmosphärisch aufgeladenen Stimmungen musikalisch einzufangen. Der Komponist erreicht hier eine Art Überhöhung der mitunter schroffen expressionistischen Metaphorik in den Texten vor allem durch zahlreiche Anspielungen, die sich auch aus der polyphonen Verschränkungen von Singstimme und Begleitung ergeben, wie zum Beispiel im Mittelteil des ersten Liedes, wenn in Takt 43 in der Singstimme bei der auffälligen Alliteration „… Hände wie zwei Hunde …“ ein zwar transponiertes, aber doch deutlich sicht- wie hörbares B-A-C-H-Motiv erscheint.
Ridils Meisterschaft manifestiert sich aber auch in diesem Werk vor allem darin, dass er bei aller kompositorischen Durchbildung bis ins kleinste Detail niemals den dramaturgischen Gesamtbogen einer Komposition zerstückelt. Man spürt vielmehr deutlich, wie er, einem Maler ähnlich, der von Zeit zu Zeit von der Leinwand ein paar Schritte zurücktritt, um das Gemalte von weitem zu betrachten, das Einzelne immer wieder kritisch unter das Ganze stellt.
Martin Schmeck
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